Guten Tag,
ich - Dr. Stefan Schneider - möchte mich im Namen der Wohnungslosen_Stiftung gUG beschweren über die Jugendherberge Berlin Ostkreuz (https://www.jugendherbergeberlinostkreuz.de/).
Sachverhalt: Ich habe dort von Montag 15. Dezember bis Mittwoch, 18. Dezember 2024 (ursprünglich 17. Dezember, dann um 1 Tag verlängert) 4 Menschen aus unserem Netzwerk wohnungslosigkeitserfahrener Menschen anlässlich einer Fachtagung untergebracht (Beleg: Rechnung in der Anlage)
Am Dienstag, den 17. Dezember 2024 gegen 10:00 Uhr erhalte ich per Telefon eine Beschwerde über den Zustand eines Zimmers, ohne dass mir ein Name des Gastes genannt werden kann. Zudem wird mir ein Video zugeschickt, das den Zustand dieses Zimmers dokumentieren soll (Beleg: Video - https://youtube.com/shorts/Bxi8R7YSI8M?feature=share). Ich werde aufgefordert, diesbezüglich einzuschreiten oder aber einer erhöhte Reinigungsgebühr zu bezahlen.
Ich bin also gezwungen, alle meine Gäste mit diesem Sachverhalt zu konfrontieren und einer meiner Gäste teilte mit: Er habe seinen Rucksack ausgeleert und er würde selbstverständlich das Zimmer am nächsten Tag sauber und aufgeräumt verlassen.
Das ist auch geschehen. Er dokumentierte es mir am Folgetag 18. Dezember 2024 mit einem Foto (Beleg: Foto in der Anlage).
Aus meiner Sicht handelt es sich bei dem Verhalten der Jugendherberge Berlin Ostkreuz um eine Diskrimierung aufgrund des sozialen Status.
Das Verhalten der Jugendherberge Ost ist aus mehreren Gründen nicht angemessen:
a) Eine Zimmerinspektion während des Buchungszeitraums ist unüblich. Ich gehe davon aus, dass es sich bei der Zimmerkontrolle um einen Vorgang handelt, ausschließlich aufgrund von Vorurteilen gegenüber wohnungslosen Menschen motiviert war
b) Es ist vollkommen unverständlich, warum die Jugendherberge den Menschen nicht direkt angesprochen hat. Es ist eine weitere Diskriminierung, sich über wohnungslose Menschen hinter deren Rücken bei Dritten zu beschweren. Die fehlende direkte Ansprache brachte mich in die völlig unangemessene Situation, alle (!) Gäste mit diesem Sachverhalt zu konfrontieren. Das habe ich aber abgelehnt.
c) Was geht es die Jugendherberge an, wie ein Mensch, für den ein Einzelzimmer gebucht worden ist, dieses während der Buchungszeit nutzt? Maßgeblich ist der Zustand beim Verlassen des Raumes am Ende des Buchungszeitraumes.
d) Der betroffene Gast war sehr empört und aufgebracht wegen des Verhaltens der Jugendherberge, so dass er auch nicht mehr an der Fachtagung teilnehmen wollte, weil er diese erneute Diskrimierung erstmal verarbeiten musste. Das ist ein sehr konkreter Schaden, den die Jugendherberge durch ihr unangemessenes Verhalten verursacht hat.
Menschen, die ohne Wohnung auf der Straße leben, befinden sich in einer extrem belasteten Lebenssituation. Sie sammeln oftmals Pfandflaschen um an Geld zu kommen, sind darauf angewiesen, Lebensmittel bei sich aufzubewahren und tragen wichtige Papiere und Unterlagen bei sich und auch zu waschende Wechselwäschen und weiteres mehr. Bei dem, was auf dem Video zu sehen ist, handelt es sich aus meiner Sicht darum, die Gelegenheit eines geschützten Raumes dafür zu nutzen, das alles mal gründlich auszubreiten und zu ordnen. Eine solche Gelegenheit gibt es noch nicht einmal in den zwangsgemeinschaftlichen Massennotunterkünften - die allerorts als "Obdachlosenhilfe" angeboten werden.
Zu beanstanden ist also zum einen die Diskrimierung von Seiten der Jugendherberge aber auch eine mangelnde Sensibilität gegenüber den Bedürfnissen von Menschen, die auf der Straße leben (müssen).
Aus meiner Sicht könnte eine geeignete Wiedergutmachung darin bestehen, dass die Jugendherberge neben einer öffentlichen Entschuldigung eine Entschädigung in Höhe der Übernachtungskosten (565,70 € in Worten: fünfhundertfünfundsechzig Euro und siebzig Cent) leistet.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Stefan Schneider
Kommentar von Ricarda:
Lieber Stefan,
ich möchte diesem Gast sagen, dass mich das Verhalten der JH wütend macht! Und ich kann das wirklich gut verstehen, dass ihm das zugesetzt hat.
Neben den von dir genannten Punkten scheint mir auch das Eindringen in die Privatsphäre, das unerlaubte Filmen und Versenden des Videos sehr privaten Eigentums eine Verletzung von Persönlichkeitsrechten. Das wäre es ja auch bei Menschen mit Wohnung. Wie du beschrieben hast, macht das aber hier zusätzlich einen großen Teil persönlichen Besitzes aus. Das sind nicht einfach nur Trinkflasche, Lunchbox, Geldbörse, Handy. Das ist gefühlt der Schreibtisch, Teil vom Kleiderschrank usw.
Es ist auch insofern sehr Scham erzeugend, weil hier Unordnung gefilmt wurde. Man stelle sich vor, die JH geht in jedes Zimmer und filmt die temporäre Unordnung anderer Gäste oder andere Dinge, die sehr privat sind und evtl. geeignet, jemanden schlecht darzustellen (kaputte Kleidung, ein verschimmeltes Brot im einer Essensbox, ungewaschene Wäsche etc.), die jedoch nicht das Zimmer beschädigen (wie hier ja auch nicht) und versendet das an die Stelle, die das Zimmer zahlt. In welcher Intention tut man sowas? - Doch hier im konkreten Fall nur, weil man annimmt, der Mensch will oder kann nicht aufräumen und den Tisch wischen. Er sei also entweder unfähig oder unsozial. Wie du sagst, genau das ist das Vorurteil.
Der Gast muss sich auch nicht dafür schämen, Unordnung gibt es bei uns allen temporär und sicher auch in einer hohen Anzahl JH-Zimmern. Ebenso Krümel oder ein bisschen Dreck.
Das Eindringen und Filmen ist das Ungehörige hier.
Und die Gesellschaft muss sich schämen, dass Menschen ihr halbes Leben in einen Rucksack stopfen müssen, zusammen mit Gegenständen, die evtl. nicht immer sauber sind. Das ist das eigentlich Schockierende an dem, was das Video zeigt, wenn man den Kontext hat.
Und wo ist hier bitte Grund für erhöhte Reinigungsgebühr? So ein Quatsch. So sieht das halt nach Rucksack ausleeren, Essen und Trinken _vor_ dem Aufräumen und Putzen aus. Ist menschlich. Machen die das auch, wenn jemand mit schlammigen Schuhen von einer Wanderung da reinlatscht, Schlammkrümel, vielleicht Chipskrümel verteilt, vielleicht sogar noch Kaffee verschüttet? - Das ist ne JH, da leben halt kurzzeitig Menschen, nicht Saugroboter. Und das Zimmer hat keinen Perserteppich und antike Möbel sondern offenbar Laminat und gut abwischbare Oberflächen. - Meine Güte, wie viel Angst vor dem, was sie als Fremdgruppe wahrnehmen, haben die denn?
Ich stelle mir auch vor, dass sich dieses Zimmer ganz anders nach einem sicheren Raum angefühlt haben muss, für jemanden ohne Wohnung, als für jemanden mit. Ein seltener Moment eigener vier Wände, Schutz, Ruhe. ...Und dann turnt da einer rein und filmt, während man nicht da ist, unerlaubt, beschwert sich hinterrücks, behandelt den Gast auf diese Weise wie ein Kind. Eine solche Grenzüberschreitung und Diskriminierung, Verletzung des als sicher geglaubten Raumes, könnte psychisch nachhaltig negativ wirken.
Aus meiner Sicht muss die JH sich deshalb neben der von dir genannten öffentlichen Entschuldigung auch überlegen, wie sie den Schaden bei dem Gast wieder gut machen kann. Das scheint mir das Wichtigste. Die sollen sich mal was überlegen, was sie anbieten können und den Gast fragen, was er jetzt von ihnen braucht, bzw., was sie tun können, den Schaden möglichst abzumildern.
Und sie sollten ihre Mitarbeiter schulen, diskriminierungsfrei zu agieren, Grenzen und Persönlichkeitsrechte zu respektieren.
Sie könnten auch die Gelegenheit nutzen, in Erfahrung zu bringen, was sie besser machen können, um speziell auch auf Wohnungslose noch besser zugeschnitten zu sein, sofern die ihnen jetzt noch diese Zeit schenken und sich dazu äußern wollen. Ich meine das ganz ernst. Da ist jetzt ein intensiverer Kontaktpunkt, der könnte genutzt werden, zu versuchen, bei denen Vorurteile abzubauen und ein Bewusstsein zu schaffen.
Vielleicht ist auch der JH-Dachverband da ein Ansprechpartner. _Alle_ Gäste sollten sich in allen JHn darauf verlassen können, dass so etwas nicht passiert und sie anständig behandelt werden.
Viele Grüße
Ricarda